Die Sicherheitslage bleibt unberechenbar

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Abstimmung2020
Wie sich das Umfeld in den nächsten 30-40 Jahren entwickelt ist nicht vorhersehbar. Die Flugzeuge sind als langfristige Investition in die Sicherheit mehrerer Generationen anzusehen.

Die Schweiz liegt im Herzen von Europa und mag von Freunden umgeben sein. Wie jedoch Otto von Bismarck (1815-1898) treffend sagte, «haben Staaten keine Freunde, sondern Interessen». Das bedeutet sicherlich nicht, dass wir die umliegenden Staaten als Feinde betrachten müssen. Uns muss aber bewusst werden, dass in einer Krise der eigene Staat, unabhängig der Nation, an vorderster Stelle steht. Als Beleg dieser Theorie können die vor kurzem zurückgehaltenen – bereits bezahlten – Schutzmittel angewendet werden, welche in der Corona-Krise in die Schweiz hätten geliefert werden sollen. Dasselbe Prinzip gilt auch für unsere Lufthoheit: Der Schweizer Luftraum dient als Transitraum für den internationalen Luftverkehr und ist einer der dichtest beflogenen Lufträume im Herzen Europas. Bei Konflikten oder Spannungen kann dieser strategisch optimal gelegene Luftraum beispielsweise als «Abkürzung» für andere Parteien sehr attraktiv werden.

Als neutrales Land ist die Schweiz verfassungsmässig und durch internationale Abkommen verpflichtet, zu verhindern, dass mögliche Konfliktparteien die Lufthoheit der Schweiz verletzen, um ihre eigenen Interessen auf Kosten der schweizerischen Sicherheit durchzusetzen. Um diese Verpflichtung umzusetzen, ist die Schweiz auf ein konstantes Mass an Kompetenzerhaltung in Sachen Verteidigung und Schutz angewiesen. Dies ist zwingend notwendig, denn eine Luftwaffe kann nicht aus dem Nichts heraus aufgebaut werden. Allein die Ausbildung eines Kampfpiloten dauert mehrere Jahre.

Die von den Experten und dem Bundesrat ausgearbeitete Variante zur Beschaffung neuer Kampfflugzeuge ist keine Luxuslösung für die Schweiz. Es sollen voraussichtlich lediglich 30 bis 40 Flugzeuge beschafft werden. Mit dieser Anzahl ist der fliegende Teil der Luftwaffe nicht auf eine lange andauernde Verteidigung ausgerichtet. Hierfür wären gemäss Expertenbericht[1] erheblich mehr Mittel erforderlich. Das Beschaffungsvolumen erlaubt es, bei einer angespannten Lage und während sechs Monaten ohne Versorgung aus dem Ausland die Souveränität des Schweizer Luftraums sicherzustellen und im Verteidigungsfall eine gewisse Anfangsleistung zu erbringen. Die neuen Kampfflugzeuge werden mindestens 30 Jahre im Einsatz stehen. Während dieser langen Zeit werden die Kampfflugzeuge vielfältige, teils unvorhersehbare Herausforderungen zur Gewährleistung der Sicherheit in der Luft und am Boden bewältigen und ihre Leistung zugunsten der Sicherheit der Schweizer Bevölkerung erbringen.

Machtpolitik heisst, mittels aggressiver Demonstration von wirtschaftlicher, politischer und militärischer Stärke nationale Eigeninteressen zu schützen oder gegenüber den Interessen anderer Nationen durchzusetzen. Die sicherheitspolitische Situation hat sich seit der Jahrtausendwende laufend verändert und ist merklich angespannter geworden. So bemerkte Général Pierre de Villiers, Generalstabschef der französischen Armee im Dezember 2016: „Die Zeiten haben sich geändert, die Sorglosigkeit ist zu Ende.“ Neben Katastrophen und Epidemien, gehören mittlerweile auch militärische Konflikte, unter anderem in Form von Hybridkriegen[2] zu den nicht ausschliessbaren Gefahren für Europa. Die Bedrohungen sind vielfältig und unübersichtlich geworden und haben zugenommen. Niemand kann voraussehen, wie sich die Lage in den nächsten Jahren und Jahrzenten entwickelt. Wir sind jetzt verantwortlich, für die nationale Lufthoheit für die nächsten Jahrzehnte…!

Machtpolitik ist wieder salonfähig geworden. Ein gutes Beispiel ist die Stationierung einst verbotener Mittelstreckenraketen durch Russland in Kaliningrad, welche als Antwort auf den installierten Raketen-Abwehrschirm der NATO befohlen wurde. Diese Raketen haben eine Reichweite von bis zu 2’000 km, was mit einer Distanz von Kaliningrad bis nach Madrid vergleichbar ist, und den Zweck, bei einer möglichen Annexion des Baltikums eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Sie ermöglichen die Durchsetzung eigener Interessen und eine gleichzeitig erzwungene „Deeskalation“ eines dann notwendig werdenden militärischen Eingreifens seitens der NATO.

Als weiteres Beispiel dient das Machtspiel im südchinesischen Meer. Nebst einem hohen erwarteten Erz- und Erdölvorkommen ist das Gebiet ausgesprochen fischreich und von mehreren tausend kleineren Inseln übersät und somit ein geostrategisch äusserst wertvoller Standort. China beansprucht nebst den USA, Japan, Brunei, Malaysia, Taiwan, Vietnam und den Philippinen fast 80% des südchinesischen Meeres. Chinas Anspruch wurde im Jahre 2016 durch den internationalen Gerichtshof in Den Haag zurückgewiesen. Das Urteil wurde von China jedoch nicht akzeptiert. Tatsächlich untermauert die chinesische Regierung ihren Anspruch laufend mit der militärischen Annexion der Inseln. Beispielsweise durch die Installation von Marschflugkörpern, welche von China flächenmässig ausgebaut werden.[3]

Auch die Krim wurde durch eine illegale „verschleierte“[4] Besetzung und alleine durch Androhung von Gewalt annektiert. Diese Operation wurde ohne Schusswechsel oder den Einsatz von Gewalt seitens der vor Ort präsenten russischen Streitkräfte umgesetzt. Der Ukraine wurde durch die NATO militärischen Schutz zugesichert, auch wenn sie nicht Mitglied der NATO ist. Die NATO griff jedoch nicht ein, da in Russland eine grosse Anzahl von Truppen an die Grenze zur Ukraine entsandt und massive militärische Manöver durchgeführt wurden. Russland erzwang so den für sie geostrategisch wichtigen ungehinderten Zugang zum Schwarzen Meer. Die Krim hatte dabei nicht die eigenen militärischen Mittel, um diese Annexion zu erschweren oder gar zu verhindern.

Eine ähnliche Situation besteht in den baltischen Staaten. Die drei Länder können ihre nationale Lufthoheit nicht mit eigenen Mitteln gewährleisten. Deshalb ist die NATO mit Luftstreitkräften verschiedener Staaten (im Turnus) vor Ort präsent.

Diese Beispiele zeigen, wie eine Nation zum Spielball der Mächtigen werden kann, wenn sie ihre legitimen eigenen Interessen nicht glaubhaft, selbstständig schützen und nötigenfalls verteidigen kann. Auch die Schweiz ist von solch einer Gefahr nicht gänzlich ausgenommen, wie Ueli Maurer einst anlässlich einer Rede[5] bemerkte.

[1] www.vbs.admin.ch: Bericht «Luftverteidigung der Zukunft»
[2] Verdeckte Kriegsführung: Anwendung von Desinformation, Cyberattacken & Einsatz von verdeckten Truppen ohne Staatsabzeichen
[3] Neue Zürcher Zeitung: «China stationiert Raketen im Südchinesischen Meer auf umstrittenen Inseln», (sda/dpa)
[4] Neue Zürcher Zeitung: «Acht aufsehenerregende Operationen des russischen Geheimdienstes», Autor: Andreas Rüesch
[5] www.admin.ch: Rede «Was wir aus unserer Geschichte lernen können», Bundesrat Ueli Maurer

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